Anlässlich des weltweiten Tags der seltenen Erkrankungen, der jährlich am letzten Tag im Februar stattfindet (28.02.2023), fordert das German Brain Council (GBC) mehr Forschung für Menschen mit seltenen Erkrankungen, um die Entwicklung neuer Diagnose- und Behandlungsmöglichkeiten voranzubringen.
Es spricht sich darüber hinaus für einen gesicherten Zugang zu wirksamen Therapien sowie für eine umfassende Versorgung aller Menschen mit seltenen Erkrankungen aus.
Eine Erkrankung gilt als selten, wenn nicht mehr als 5 von 10.000 Menschen von ihr betroffen sind. Da es mehr als 6.000 unterschiedliche Seltene Erkrankungen gibt, ist die Gesamtzahl der Betroffenen trotz der Seltenheit der einzelnen Erkrankungen hoch. Allein in Deutschland leben etwa vier Millionen Menschen mit einer Seltenen Erkrankung.
Eine dieser seltenen Krankheiten ist die proximale Chromosom-5q-assoziierte spinale Muskelatrophie (5qSMA). Sie ist mit einer Inzidenz von ca. 1/7500 Lebendgeburten in Deutschland sowie mit einer Überträgerfrequenz von 1:50 die häufigste genetisch bedingte Todesursache im Kindesalter. Die Manifestationen dieser Erkrankung können stark variieren, von einem Beginn in der Neugeborenenphase (mit deutlicher Muskelschwäche sowie respiratorischen und bulbären Störungen) bis in das höhere Lebensalter hinein (z. B. mit milder Muskelschwäche im Beckengürtelbereich).
Seit 2017 stehen Nusinersen (Spinraza) zur intrathekalen Gabe nach einem festgelegten Schema für alle klinischen Subtypen und seit 2020 die einmalige intravenöse Gabe von Onasemnogene Abeparvovec (Zolgensma) für Typ 1 SMA oder SMA mit bis zu 3 SMN2 Kopien zur Verfügung. Risdiplam (Evrysdi), ein small molecule, ist in den USA für alle SMA-Subtypen ab der Geburt zugelassen. Eine Zulassung durch die EMA erfolgte im April 2021, bisher für alle Subtypen ab 2 Monate. Nusinersen und Risdiplam zielen auf die Erhöhung des SMN2-Gens als Ausgleich des Fehlens von SMN1-Gen ab. Onasemnogene Abeparvovec (Zolgensma) ersetzt als synthetisiertes Transgen das natürliche SMN1 Gen. In Abhängigkeit von der klinischen Symptomatik sollte die medikamentöse Therapie in eine multiprofessionelle Betreuung eingebettet sein.
Trotz dieser bahnbrechenden Verbesserung der Lebenserwartung und der Lebensqualität für die Betroffenen bestehen weiterhin Forschungslücken: Es gibt noch kein komplettes Verständnis der Pathophysiologie bei 5qSMA. Zwar sind einige Modifier bekannt, diese erklären aber nicht alle klinischen Phänomene.
Die Veränderung des klinischen Bildes unter den neuen komplexen Therapien zusammen mit einer multidisziplinären Betreuung, das Verstehen der Nebenwirkungen innerhalb von Studien und nach Zulassung, d.h. der Real-World-Daten, sowie die Erfassung von Langzeitdaten unter Therapie in industrieunabhängigen Registern zur Bearbeitung wichtiger neuer Fragen in einem lernenden System sind, so das German Brain Council, wesentlich zu adressierende Themen für die Zukunft.