Am Samstag, den 04. Februar 2023, findet der Weltkrebstag statt. In Deutschland erkrankten im Jahr 2022 500.000 Personen neu an Krebs – Tendenz steigend. Über vier Millionen Menschen leben mit der Krankheit.
Tumore des zentralen Nervensystems (ZNS) machen insgesamt etwa 2 % aller Krebserkrankungen aus. In 95 % aller Fälle betreffen sie das Gehirn, die übrigen 5 % verteilen sich auf die Hirn- und Rückenmarkshäute, Hirnnerven und das Rückenmark. ZNS-Tumoren können in jedem Lebensalter auftreten, wobei schwerwiegendere Fälle vorwiegend im Kindesalter oder bei älteren Personen vorkommen.
Das German Brain Council möchte den Weltkrebstag zum Anlass nehmen, um auf die Relevanz von Tumoren des zentralen Nervensystems für die Gehirngesundheit über die gesamte menschliche Lebensspanne hinzuweisen. Denn Krebs ist und bleibt ein zentrales Gesundheitsproblem unserer Gesellschaft. Es sind nicht nur weitere Forschungsanstrengungen nötig, um das Verständnis von ZNS-Tumoren zu verbessern. Auch noch bestehende Versorgungslücken etwa bei der Vor- und Nachsorge oder der Rehabilitation sollten geschlossen werden.
Tumoren des zentralen Nervensystems im Kindes- und Jugendalter
Tumoren des zentralen Nervensystems (ZNS) im Kindes- und Jugendalter sind seltene Erkrankungen und gleichzeitig nach den Leukämien und Lymphomen als systemische Erkrankungen die häufigste solide Tumorerkrankung in dieser Altersgruppe. Sie kommen mit einer Häufigkeit von 3-4/100.000 Einwohner pro Jahr vor. Somit wird diese Diagnose in Deutschland ungefähr bei 500 Patienten jährlich neu gestellt, d.h. ein Kind/Jugendlicher von 1400 Kindern/Jugendlichen ist betroffen. Jungen sind etwa 20% häufiger betroffen als Mädchen. In den meisten Fällen entstehen die Tumoren sporadisch, ohne Hinweis auf einen familiären oder umgebungsbedingten Hintergrund. Andererseits entsteht fast jeder zehnte Tumor infolge einer Keimbahnmutation, wobei die Phakomatosen Neurofibromatose Typ 1 und Tuberöse Sklerose die häufigsten genetischen Ursachen darstellen. Zudem sind ZNS-Tumoren die häufigste Zweitneoplasie nach Diagnose und Behandlung einer bösartigen Erkrankung im Kindes- und Jugendalter.
Diese Tumorgruppe bleibt unverändert die häufigste malignombedingte Todesursache dieser Altersgruppe. Das Spektrum der Diagnosen sowie deren Prognose unterscheidet sich von erwachsenen Patienten bezüglich des Tumortyps, Histologie, Molekularbiologie, Lokalisation und den Behandlungsoptionen erheblich. Die häufigsten Tumorentitäten sind das breite Spektrum niedrig-gradiger Gliome, hier vor allem das pilozytische Astrozytom, gefolgt von höher-gradigen Tumoren wie Medulloblastom, Ependymom und malignen Gliomen sowie Keimzelltumoren. Mehr als die Hälfte der Tumoren entstehen in der hinteren Schädelgrube. Die höhergradigen, vor allem embryonale Tumoren, d.h. Tumoren, die unreifem Nervengewebe ähneln, neigen zur Metastasierung entlang der Liquorwege. Eine Metastasierung außerhalb des ZNS ist äußerst selten. Im Rahmen anderer bösartiger Erkrankungen in dieser Altersgruppe kommt es selten zu Metastasen im ZNS.
Die Patienten werden in Deutschland in spezialisierten kinderonkologischen Zentren versorgt und über das Behandlungsnetzwerk HIT. In diesem Netzwerk sind die Studienzentralen für die einzelnen Erkrankungen mit den Referenzzentren für Neuropathologie, Neuroradiologie, Liquordiagnostik, Radiotherapie und dem kinderneurochirurgischen Referenzpanel national zusammengeschlossen. Es dient allen Betroffenen eine multimodale Behandlung gemäß qualitätskontrollierten, interdisziplinären Standards für Diagnostik, Operation, Bestrahlung und systemische Therapie im Rahmen von randomisierten Studien oder Registern zu ermöglichen. Dadurch ist die Zahl der Überlebenden kontinuierlich in den letzten Jahrzehnten gestiegen. Aktuell liegt das 15-Jahres Überleben im Bereich um 76-79%.
Die Therapieelemente sind zum Teil sehr aggressiv und beinhalten neben dem Ziel einer wenn möglich kompletten operativen Tumorentfernung, je nach Entität systemische und intrathekale (Medikamentengabe ins Nervenwasser) Chemotherapie, Hochdosischemotherapie und Stammzellgabe, sowie neben fokaler Strahlentherapie Erweiterung derselben auf den gesamten Liquorraum. Infolge der zunehmenden Zahl der Langzeitüberlebenden erhalten die Folgen der Erkrankung und der Therapie mehr Aufmerksamkeit. Die Patienten sind mit zunehmendem Alter durch Verluste auf kognitiver und motorischer Ebene, des Visus, der Hörfähigkeit der Hormonregulation gekennzeichnet. Dies schränkt die altersadäquate Teilhabe ein, sodass nicht wenige sich nicht schulisch/beruflich und sozial entwickeln. Zudem müssen die Überlebenden mit Zweittumoren und einem erhöhten Risiko für Durchblutungsstörungen des Gehirns rechnen.
Mittels molekularbiologischer Methoden werden die neuropathologischen Diagnosen noch präziser und eröffnen neue Perspektiven bezüglich innovativer zielgerichteter und immunvermittelter Therapiekonzepte.
Quellen
Erdmann F, Kaatsch P, Grabow D, Spix C. German Childhood Cancer Registry - Annual Report 2019 (1980-2018). Institute of Medical Biostatistics, Epidemiology and Informatics (IMBEI) at the University Medical Center of the Johannes Gutenberg University Mainz, 2020.
Tallen G, et al., Strategies to improve the quality of survival for childhood brain tumour survivors, Eur J Paediatr Neurol 2015 Nov;19(6):619-39
Zum Autor
PD Dr. med. Pablo Hernáiz Driever ist Studienleiter, HIT-LOGGIC-Register (Low Grade Glioma in Children) und Experte für Neuroonkologie der Gesellschaft für Neuropädiatrie.
Kontakt
Klinik für Pädiatrie mS Onkologie/Hämatologie
Charité – Universitätsmedizin Berlin
Augustenburger Platz 1
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Tumoren des zentralen Nervensystems bei Erwachsenen
Gehirntumoren sind benigne oder maligne Tumoren im zentralen Nervensystem, bei denen zwischen primären und sekundären Hirntumoren unterschieden wird: Während primäre Hirntumoren direkt von hirneigenem Gewebe, insbesondere Gliazellen oder den Hirnhäuten, ausgehen, entstehen sekundäre Gehirntumoren aus Zellen peripherer Tumoren, die über die Blutbahn in das Gehirn gelangen und hier Metastasen bilden.
Metastasen peripherer Tumoren stellen bei Erwachsenen die Mehrheit der Hirntumoren dar, wobei bei etwa 25 % der Patientinnen und Patienten mit systemisch metastasierten Tumoren im Verlauf der Erkrankung Hirnmetastasen auftreten. Am häufigsten handelt es sich dabei um Metastasen von Bronchial- (ca. 30-50 %) bzw. Mammakarzinomen (ca. 20-30 %) oder Malignen Melanomen (ca. 10 %).
Primäre hirneigene Tumoren sind im Vergleich dazu erheblich seltener und machen nur etwa 1-2 % der Tumoren im Erwachsenenalter aus. Der häufigste maligne hirneigene Tumor ist das Glioblastom, das in westlichen Ländern eine Inzidenz von jährlich ca. 3-6 Neuerkrankungen pro 100.000 Einwohner aufweist und meist im Alter zwischen 55 und 85 Jahren auftritt. Trotz intensiver Bemühungen ist die Prognose von Glioblastomen weiterhin sehr schlecht und eine kurative Behandlung in der Regel nicht möglich.
Die häufigsten benignen Hirntumoren sind Meningeome, welche von Zellen der weichen Hirnhaut ausgehen. Der mediane Erkrankungsalter liegt zwischen 60 und 70 Jahren, wobei Frauen deutlich häufiger betroffen sind als Männer. Meningeome wachsen typischerweise sehr langsam und können je nach Lokalisation oder Wachstumstendenz neurochirurgisch reseziert, bestrahlt oder auch erst einmal nur beobachtet werden.
Die Symptomatik bei Gehirntumoren ist vielseitig und hängt von der Lokalisation des Tumors ab. Sie umfasst neben Kopfschmerzen fokalneurologische Störungen (Lähmungen, Gefühlsstörungen, Seh- und Hörstörungen, Sprach- und Sprechstörungen etc.), Zeichen des erhöhten Hirndrucks (Übelkeit, Nüchternerbrechen, Vigilanzstörung etc.), epileptische Anfälle, aber auch psychiatrische Symptome (Wesensänderung). Die genannten Symptome sind unspezifisch und unabhängig von der Art des Tumors, sodass immer eine weiterführende Diagnostik mittels Bildgebung sowie in den meisten Fällen auch eine histopathologische Abklärung indiziert ist.
Die drei Hauptpfeiler der Therapie von Gehirntumoren sind die neurochirurgische Resektion, Strahlen- und Chemotherapie. Welche Therapie oder Therapiekombination zur Anwendung kommt, hängt vor allem von der Tumorentität, aber auch von anderen Faktoren wie etwa der Lage des Tumors, dem Alter und dem Allgemeinzustand wie auch den individuellen Wünschen des Patienten oder der Patientin ab. Mit zunehmendem Verständnis der molekularen Mechanismen, die für die Tumorentstehung und das Tumorwachstum eine Rolle spielen, gewinnen darüber hinaus auch immer mehr personalisierte und zielgerichtete Therapien (targeted therapy) an Bedeutung.
Quellen
WHO Classification of Tumours, 5th Edition, Volume 6: Central Nervous System Tumours, IARC, 2021.
Zentrum für Krebsregisterdaten des Robert Koch-Instituts (RKI; www.krebsdaten.de).
Zum Autor
Dr. med. Viktoria Ruf ist Oberärztin am Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung der LMU München.
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Zentrum für Neuropathologie und Prionforschung
Ludwig-Maximilians-Universität München
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